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Mittwoch, 18. Mai 2016

Der Aktenschrank ist voll

"Wie integrieren wir die Menschen, die schon da sind?", fragte der frisch angelobte (übrigens auch so ein schönes Wort: schwingen etwa da die Vorschusslorbeeren für den neuen Herrscher schon mit?) Bundeskanzler Christian Kern gestern im Fernsehinterview. Dieselbe Frage stellen sich viele Österreicherinnen und Österreicher angesichts von zigtausenden Flüchtlingen aus dem Nahen und Mittleren Osten.

Seit heute tue ich es auch.

Das heißt, genau genommen frage ich mich das schon länger und suche eine Antwort, indem ich gemeinsam mit einigen anderen Leuten zwei aus Syrien geflohenen Familien, die das Schicksal in unsere niederösterreichische Landgemeinde verschlagen hat, bei der Bewältigung ihres Alltags helfe. Dieses Engagement wäre an sich nicht der Rede wert. Als durch Herkunft, Bildung und verwandtschaftliche Beziehungen privilegierter Immigrant ist es für mich selbstverständlich, anderen Zugereisten zu helfen. So bin ich etwa neulich mit der einen Familie zum Passcenter des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) nach Traiskirchen gefahren, um dort für alle fünf Mitglieder Konventionsreisepässe zu beantragen.

Traiskirchen Fluechtlingslager mit Schneeberg im Hintergrund


Traiskirchen ist nicht nur Synonym für die größte Asylwerberunterkunft in Österreich, sondern auch Sitz der Regionaldirektion des BFA, wo nach Auskunft von dessen Internetseite besagte Pässe zu beantragen sind. Es liegt etwa 30 Kilometer südlich von Wien. Um von Schleinbach dorthin zu gelangen, muss man eine mehr als zweistündige Reise mit der ÖBB auf sich nehmen, oder aber man fährt mit dem Auto und hat so die Chance - sofern die meistbefahrene Straße Österreichs, ein bis zu fünfspuriger Baustellenparcour namens "Südosttangente", nicht verstopft ist -, in einer guten Stunde dort zu sein

Weil das beim ersten Mal wunderbar geklappt hatte, bin ich heute früh mit der syrischen Familie Nr. 2, ebenfalls fünf Personen, wieder in unserem braven Dacia Logan MCV nach Traiskirchen zum Passcenter gefahren. Und abgesehen davon, dass wir bei Wiener Neudorf einen Stau hatten und mir der kleine Majid, wohl durch das Gekurve bei dessen Umfahrung, ins Auto gekotzt hat, kamen wir auch wohlbehalten dort an.

Allerdings nur um zu erfahren, dass dieses Passcenter für Flüchtlinge, die in unserer Gemeinde wohnhaft sind, nicht zuständig sei und wir uns zur Beantragung der Pässe in die Landeshauptstadt St. Pölten zu verfügen hätten - welche 70 Autobahnkilometer weiter westlich liegt. Meine Einwände, vor wenigen Wochen hätten wir aber genau hier Pässe beantragt und der Internetseite des BFA zufolge könnten wir es nach wie vor, erhielt ich zur Antwort, da habe es sich wohl um einen Irrtum gehandelt, die Regelung sei nunmal so, man müsse "leider hart sein". Und schließlich: "Ich kann nichts dafür, das ist die österreichische Bürokratie!"

Als ich in St. Pölten sicherheitshalber anrief, sagten die mir, wir bräuchten gar nicht erst zu kommen, sie seien ausgelastet. Also fuhren wir unverrichteter Dinge wieder nach Hause.

Seit heute zweifle auch ich, dass Kafkas Land das schafft mit der Integration.

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