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Freitag, 11. Dezember 2015

Auf der Rückseite der Pyramide

Ein Samstagnachmittag Anfang Dezember. Durch einen glücklichen Zufall waren beide Kinder abgängig, die Tochter auf einer Geburtstagsparty, der Sohn bei einem Freund. Drei Stunden seltener Freiheit zu zweit, die meine Frau und ich weidlich nutzen wollten, das heißt zum Streiten. Der Streit lag schon seit Tagen in der Luft. Tagsüber kommt man ja selten dazu, sich die Meinung zu sagen, und abends ist man in der Regel zu müde. Außerdem fetzt es sich an der frischen Luft besser. Zumindest die Fenster sollten offen sein, dann haben die Nachbarn auch etwas davon. Aber lieber tun wir es gleich in Gottes freier Natur, am allerliebsten während eines Spaziergangs.

Und so lenkten wir unsere Schritte, nachdem wir den Sohn beim Freund abgeliefert hatten, aus dem Ort und ließen unsere erzürnten Stimmen über die spätherbstlich kahlen Felder hallen. In unseren Disput vertieft, gaben wir wenig acht, wohin wir gingen, stapften über einen jener langen Rücken, die sich vom Kreutwald sanft ins Tal des Rußbaches hinabziehen, bogen einmal rechts, einmal links ab und dann wieder rechts auf einen Weg, der in ein Seitental führte. Ein nordisch walkendes Paar kam uns entgegen, sonst keine Menschenseele weit und breit. Nur die zotteligen Schafe, die hier weideten, wurden Zeugen unserer Auseinandersetzung, die aber da schon auf ihr versöhnliches Ende zuging. Wir vertrugen uns - unabsichtlich, aber sinnigerweise - bei einem Steinhaufen am Wegesrand, den der Volksmund "Friedenspyramide" nennt.

Jenseits des Haufens begann für uns Neuland. Steil ging es einen lehmigen Forstweg hinab, wir querten einen Holzplatz und fanden hinter den Stößen einen verwachsenen Pfad, der in Windungen das immer enger werdende Tal hinaufführte. Diesem folgten wir mit abenteuerlichem Herzen in die Abenddämmerung hinein, die in den Wald einsickerte wie eine trübe Flüssigkeit. Eine rötliche Färbung am Himmel wies uns die Richtung. Immer steiler hinauf wand sich der Pfad, flachte schließlich ab und mündete, wie wir schon ahnten, in die Ackerfluren des Mühlratzberges. Über dessen Hochebene führt eine Straße, die wir schon oft befahren hatten, aber wie anders und fremd mutete dieser Landstrich nun an! Seine bescheidenen Konturen - Bodenwellen, Bäume, in der Ferne ein Kirchturm - verschwammen stufenweise im Abendnebel. In allem lag ein warmes Leuchten, das die untergegangene Sonne hinterlassen hatte. Es war fast windstill, vereinzelte Geräusche eines bellenden Hundes oder vorüberfahrender Autos klangen herüber und bekräftigten nur den tiefen Frieden, den die Welt zu dieser Stunde verströmte.