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Dienstag, 24. Mai 2016

Caramba, teléfono: Der Volksanwalt ruft an

Gestern abend um kurz nach sechs - ich war gerade dabei, den Kindern das Abendbrot zu richten - klingelte unser Festnetztelefon. Wenn es am Festnetz klingelt, ist in der Regel entweder eine der Omas am Apparat oder irgendein Telefonverkäufer. Diesmal jedoch meldete sich, zu meiner Überraschung, eine Dame von der "Volksanwaltschaft".

In Österreich gibt es auf Bundesebene drei Volksanwälte. Das sind Ombudsleute des Parlaments, die - nach eigener Darstellung - "Menschen zur Seite stehen, wenn sie sich von einer österreichischen Behörde nicht gerecht behandelt fühlen". Und genau das hatte ich ja unlängst, wie an dieser Stelle berichtet, als das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) in Traiskirchen meine syrischen Nachbarn und mich, die wir von weit her angereist waren, um Pässe zu beantragen, einfach abwies.

Nach unserer Rückkehr von dieser frustrierenden Fahrt hatte ich die Internetseite der Volksanwaltschaft aufgerufen und dort, über ein Online-Formular, kurzerhand Beschwerde gegen das BFA erhoben. Nicht dass ich mir viel davon versprochen hätte. Auch einige meiner hiesigen Bekannten, "gelernte Österreicher" allesamt, teilten meine Erwartung, dass es sich bei dieser Einrichtung bestenfalls um eine Art Blitzableiter für den Zorn bürokratiegebeutelter Untertanen handelt, dessen Beanspruchung zwar der psychischen Gesundheit zuträglich, aber sonst wohl nutzlos ist.

Und nun rief mich also diese Dame an, stellte sich als Referentin im Geschäftsbereich C der Volksanwaltschaft vor und wollte mit mir über meine Beschwerde sprechen. Sie war sehr freundlich und nach einem ausführlichen Gespräch stellte sie in Aussicht, dem Vorfall nachzugehen und die Beschwerde an das Innenministerium, dem das BFA untersteht, weiterzuleiten. Meine Sorge, der syrischen Familie könnten dadurch zukünftig Nachteile entstehen, schien sie lustig zu finden. Keine Angst, Österreich sei ein Rechtsstaat, erklärte sie.

Whow! Dieser Anruf hat mich ein bisschen mit Kakanien versöhnt ...

(Interessantes Detail am Rande: Der für Fremden- und Asylrecht und damit auch für unseren Fall zuständige Volksanwalt Dr. Peter Fichtenbauer ist Mitglied der FPÖ.)

Mittwoch, 18. Mai 2016

Der Aktenschrank ist voll

"Wie integrieren wir die Menschen, die schon da sind?", fragte der frisch angelobte (übrigens auch so ein schönes Wort: schwingen etwa da die Vorschusslorbeeren für den neuen Herrscher schon mit?) Bundeskanzler Christian Kern gestern im Fernsehinterview. Dieselbe Frage stellen sich viele Österreicherinnen und Österreicher angesichts von zigtausenden Flüchtlingen aus dem Nahen und Mittleren Osten.

Seit heute tue ich es auch.

Das heißt, genau genommen frage ich mich das schon länger und suche eine Antwort, indem ich gemeinsam mit einigen anderen Leuten zwei aus Syrien geflohenen Familien, die das Schicksal in unsere niederösterreichische Landgemeinde verschlagen hat, bei der Bewältigung ihres Alltags helfe. Dieses Engagement wäre an sich nicht der Rede wert. Als durch Herkunft, Bildung und verwandtschaftliche Beziehungen privilegierter Immigrant ist es für mich selbstverständlich, anderen Zugereisten zu helfen. So bin ich etwa neulich mit der einen Familie zum Passcenter des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) nach Traiskirchen gefahren, um dort für alle fünf Mitglieder Konventionsreisepässe zu beantragen.

Traiskirchen Fluechtlingslager mit Schneeberg im Hintergrund


Traiskirchen ist nicht nur Synonym für die größte Asylwerberunterkunft in Österreich, sondern auch Sitz der Regionaldirektion des BFA, wo nach Auskunft von dessen Internetseite besagte Pässe zu beantragen sind. Es liegt etwa 30 Kilometer südlich von Wien. Um von Schleinbach dorthin zu gelangen, muss man eine mehr als zweistündige Reise mit der ÖBB auf sich nehmen, oder aber man fährt mit dem Auto und hat so die Chance - sofern die meistbefahrene Straße Österreichs, ein bis zu fünfspuriger Baustellenparcour namens "Südosttangente", nicht verstopft ist -, in einer guten Stunde dort zu sein

Weil das beim ersten Mal wunderbar geklappt hatte, bin ich heute früh mit der syrischen Familie Nr. 2, ebenfalls fünf Personen, wieder in unserem braven Dacia Logan MCV nach Traiskirchen zum Passcenter gefahren. Und abgesehen davon, dass wir bei Wiener Neudorf einen Stau hatten und mir der kleine Majid, wohl durch das Gekurve bei dessen Umfahrung, ins Auto gekotzt hat, kamen wir auch wohlbehalten dort an.

Allerdings nur um zu erfahren, dass dieses Passcenter für Flüchtlinge, die in unserer Gemeinde wohnhaft sind, nicht zuständig sei und wir uns zur Beantragung der Pässe in die Landeshauptstadt St. Pölten zu verfügen hätten - welche 70 Autobahnkilometer weiter westlich liegt. Meine Einwände, vor wenigen Wochen hätten wir aber genau hier Pässe beantragt und der Internetseite des BFA zufolge könnten wir es nach wie vor, erhielt ich zur Antwort, da habe es sich wohl um einen Irrtum gehandelt, die Regelung sei nunmal so, man müsse "leider hart sein". Und schließlich: "Ich kann nichts dafür, das ist die österreichische Bürokratie!"

Als ich in St. Pölten sicherheitshalber anrief, sagten die mir, wir bräuchten gar nicht erst zu kommen, sie seien ausgelastet. Also fuhren wir unverrichteter Dinge wieder nach Hause.

Seit heute zweifle auch ich, dass Kafkas Land das schafft mit der Integration.

Mittwoch, 4. Mai 2016

Reich ins Heim

Und es soll später niemand sagen, er habe die Zeichen nicht vernommen: "Am Montag, den 25. April 2016 ereignete sich mittags um 12:28 Uhr MESZ bei Alland, Niederösterreich, ein Erdbeben, das eine Magnitude von 4,2 aufwies", meldete die ZAMG, die Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik. Einen Tag zuvor hatte ein gewisser Norbert Hofer aus Pinkafeld die erste Runde der Präsidentschaftswahlen gewonnen. Zwei Tage später versanken die Bundesländer Kärnten und Steiermark, in denen besagter Kandidat überdurchschnittlich viele Stimmen gesammelt hatte, im Schneechaos. Der öffentliche Verkehr brach zusammen, ebenso wie das Stromnetz, die Polizei warnte die Bürger vor Lebensgefahr und riet ihnen, im Haus zu bleiben. 50.000 Hektar Wein-, Obst- und Ackerkulturen wurden durch den Frosteinbruch vernichtet, der Schaden beläuft sich auf mehr als 200 Millionen Euro ... Die Warnung hätte eindeutiger nicht sein können. Über den Kandidaten einer Partei, die ihren Wählern das Blaue vom Himmel verspricht, haben Himmel und Erde den Stab gebrochen.

In früheren Zeiten, als die Menschen noch ein Gespür besaßen für die Harmonie, die den Kosmos regiert, hätte das Volk die Zeichen sofort erkannt und keinen Herrscher auf den Thron gehoben, der offenkundig die Elementargewalten gegen sich hat. Aber dieses Gespür scheint den Menschen unserer Zeit verloren gegangen zu sein, und so steht zu erwarten, dass die Österreicherinnen und Österreicher den netten Herrn Hofer in der Stichwahl am 22.Mai zu ihrem Präsidenten küren. Warum? Weil er ihnen suggeriert, er könne ihr Land in jene "glückliche Insel" zurückverwandeln, als die Papst Paul VI. es einst bezeichnet hat. Einst heißt, in den seligen Siebziger Jahren, dem Sehnsuchtserinnerungsort der verängstigten Mittelschicht, als die Sozialleistungen immer mehr, die Arbeitszeiten immer kürzer wurden und die Supermächte mit ihren Atomwaffen für einen allzeit strahlend blauen Himmel über Europa sorgten.

Wenn der sympathische Herr Hofer und seine blauen Parteifreunde ihre Wähler nur nicht täuschen! Der Kandidat ist nämlich stolzes Mitglied der schlagenden Burschenschaft Marko-Germania, die ihr Bekenntnis zum "deutschen Volkstum" in den Farben Schwarz-Rot-Gold ausdrückt. Womöglich bringt ein derart anschlussfähiger Bundespräsident mir als in Österreich lebendem Deutschen gar meine alte Heimat näher. Das wäre doch schön: Dann könnte ich demnächst wieder in Deutschland leben, ohne den Wohnort wechseln zu müssen.