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Dienstag, 6. Oktober 2015

Flieger, grüß mir die Sonne

Gleich in der Früh, das Sechs-Uhr-Läuten war kaum verklungen, kam das erste Flugzeug des Tages. Der Düsenlärm drang durch den Spalt des geöffneten Fensters ins Schlafzimmer, machte sich dort breit, schwoll rasch an zu einem Dröhnen, einem Heulen, das einen Moment lang die Welt erfüllte und sich dann langsam entfernte, langsam, das heißt nicht schnell genug, um der Stille wieder Raum zu geben, denn die nächste Maschine war bereits lautstark im Anflug. Von da an folgte eine der anderen, wie Welle auf Welle an ein Gestade brandet, und wir wussten, heute weht der Wind aus Südosten. Nur bei Südostwind fliegen sie den Flughafen Schwechat, der mehr als eine Autostunde entfernt auf der anderen Seite der Hauptstadt liegt, über unseren Ort hinweg an und liegen da bereits so niedrig in der Luft, dass man vom Boden aus mit bloßem Auge ihre Fahrwerke erkennen kann. Vorausgesetzt, die Luft ist klar, was sie heute vermutlich nicht sein würde - auch das konnten wir, ohne aus dem noch verhangenen Fenster zu schauen, allein dem Fluglärm abhören, weil der lauter schien als sonst: ein Indiz für hohe Luftfeuchtigkeit und damit für den Nebel, der sich im Herbst irgendwann so zäh über dieses Land legt, dass er sich wochenlang nicht hebt. Die ersten Herbstnebel sind noch zart und mild, Weichzeichner der Landschaft, sind bloß Vorboten, die sich schon am Vormittag höflich zurückziehen angesichts einer immer noch mächtigen Sonne. Doch inzwischen leben wir lange genug hier, um zu wissen, dass die Sonne über kurz oder lang vor dem Nebel kapitulieren wird. Sie steigt dann nicht mehr hoch genug, die Lufttemperaturen sind zu niedrig, die Tage zu kurz, und der Nebel bleibt über den ganzen Tag, den nächsten auch und den nächsten, Tag für Tag Nebel, der sich grau und schwer auf das Land legt. Die, die immer schon hier leben, zucken mit den Achseln und sagen, das Graue mache ihnen nichts aus, das sei eben so. Doch mich, der ich im regnerischen Nordwestdeutschland aufgewachsen und vom Wetter weiß Gott nicht verwöhnt bin, mich macht der Nebel schwermutig und traurig, ich sehne mich nach Sonne oder wenigstens nach Sturm oder Regen - nach atmosphärischer Abwechslung. Und meine Gedanken ziehen mit den unsichtbaren, unüberhörbaren Aluminiumvögeln, die irgendwo da oben, dem Dunst enthoben, sonnigeren Gefilden entgegenfliehen.

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