Seiten

Freitag, 2. Oktober 2015

Ohne Steireranzug bist bloßhapat

Mit uns Zug'rasten ist es ja entweder so oder so. Entweder wir wollen uns gar nicht integrieren, sondern möglichst unter uns bleiben. Oder wir gehören zu den Ehrgeizlingen, den Strebern, die einheimischer als die Einheimischen sein wollen. Ich gehöre tendenziell eher zur zweiten Kategorie, wobei ich schon bald nach meiner Niederlassung in Schleinbach einsehen musste, dass Natur und Partnerwahl meinem Anpassungsstreben unüberwindliche Grenzen gezogen hatten. Schon allein wegen der Sprache. So sehr ich mich auch bemühe, die regionale Phonetik nachzuahmen, mit meiner potscherten Zunge kommt nix G'scheits dabei herum. Sobald ich die Goschn aufsperre, hört jeder sofort den Piefke. Meiner Frau ist das jedesmal urpeinlich. Genauso wie sie kategorisch dagegen ist, dass ich mir einen Steireranzug kaufe. Als ich es einmal erwog, erklärte sie umstandlos, so ein Anzug sei ein Scheidungsgrund. Vielleicht hat sie recht, nicht nur vom ästhetischen Standpunkt her, sondern auch wegen der Gefahr gesellschaftlicher Missverständnisse. Ist doch der Steireranzug - oder genauer gesagt seine niederösterreichische Variante - die Berufskleidung der Landespolitiker und somit eines Standes, dem ich augenscheinlich nicht angehöre und wohl auch niemals angehören werde, allein schon deshalb, weil ich in der wärmeren Jahreszeit gern auf Schuhwerk verzichte und bloßhapat durchs Dorf gehe. Begonnen hatte ich damit auf Anraten unserer Ärztin, die meinte, der Spreiz-Senk-Fuß meines damals dreijährigen Sohnes wäre auf diesem Wege kostenneutral zu kurieren, und als der Bui sich zierte, glaubte der Vater mit gutem Beispiel, also barfüßig, vorangehen zu müssen. Bald fanden meine Füße solches Vergnügen daran, dass sie nur noch selten in Schuhen das Haus verließen. Hätte ich gewusst, wieviel Aufsehen ich damit in unserem Ort errege, ich hätte sie schon viel früher ausgezogen! Denn wenig hat mehr zu meiner Integration beigetragen als meine nackerten Haxen. Einen Sommer lang boten sie reichlichen Gesprächsstoff. Sogar Leute, die ich bis dahin nicht gekannt hatte, redeten mich auf der Straße an, um ihr Befremden kundzutun, das aber oft eine große Portion Respekt vor meiner Hornhaut enthielt, wie sie mir wohl kaum je ein Steireranzug verschafft hätte. Außerdem wer weiß, sonst hätte ich vielleicht niemals das schöne Wort "bloßhapat" gelernt.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen